Zufallstabellen für Spielfiguren im Dreißigjährigen Krieg.
Die Erstellung von Spielfiguren bzw. SC ist für mich ein großer Faktor beim Spaß am Pen & Paper-Rollenspiel. Ich habe im Charaktererstellungsmenü von Icewind Dale wahrscheinlich einige Tage meines Lebens verbracht. Dennoch ist die Aufgabe nicht immer eine leichte: als erfahrene:r Rollenspieler:in habt ihr vielleicht manchmal das Gefühl, irgendwie schon alles gesehen und/oder selbst gespielt zu haben. Als auf der anderen Seite neu interessierte Person ist die Charaktererstellung selbst im OSR-Bereich vielleicht erstmal eine überfordernde Sache.
Jetzt habt ihr aber Grannus‘ Artikel zu den Vorzügen von Menschen als SC gelesen und dadurch leider wirklich Bock auf Abenteuer im Jahre Sechzehnhundertnochwas bekommen; die Spielrunde ist auch schon nächsten Dienstag und die Spielleitung bittet um Zusendung der Charakterbögen… was tun? Eine Möglichkeit: einfach klassisch-oldschool auswürfeln! Das spart Zeit, Nerven und führt meiner Meinung nach häufig zu recht inspirierenden Ergebnissen.
Um euch dabei zu helfen, habe ich einige Zufallstabellen vorbereitet (zum Download). Ihr benötigt einen W6, einen W12 und einen W20 (analog oder digital).
Eine Sache gleich vorneweg: ihr könnt natürlich auch das Geschlecht eurer Spielfigur zufällig bestimmen. Mir ist es aber wichtig, hierzu keine Vorgaben in Form von Tabellen zu machen. Ich finde, dass an Abenteuern in einem fantastischen Europa des 17. Jahrhunderts SC mit jeglicher Art von Identität teilnehmen können, zumal die historischen Wahrheiten zum Thema Gender wie so oft ohnehin nicht so eindeutig sind, wie man vielleicht im ersten Moment glauben könnte1.
Also, haltet eure Würfel bereit, wir legen los! Folgt einfach den Anleitungen im PDF und notiert die Ergebnisse.
Fertig? Wunderbar! Dann seid ihr schon fast spielbereit. Aber natürlich hat eure Spielfigur noch einen Namen verdient! Die Bezeichnung der Spielfigur darf selbstverständlich frei gewählt werden. Ich schlage vor, dies in Abhängigkeit der Herkunft zu tun. Nützlich finde ich hierbei Onlinesuchen, die z.B. nach Gießen im Jahr 1616 , Northumberland oder ins Frankreich der Bourbonen führen können, um ein paar Beispiele zu nennen. Selbstverständlich dürft ihr auch einen Spitznamen („Der Haarige“, „Die Ungarin“) wählen, oder bewusst eine Spannung zwischen Herkunft und Namen (ein Däne namens Giovanni?) schaffen, die vielleicht im Spielverlauf aufgeklärt werden kann.
Zur generellen historischen Korrektheit meiner Vorschläge der Hinweis: die Tabelle zur Auswahl des Herkunftslandes folgt keinen exakten politisch-dynastischen Zugehörigkeiten oder historischen Bevölkerungsverteilungen, und berücksichtigt auch nicht alle Territorien in Europa2. Absolute historische Genauigkeit ginge hier einher mit einem sehr großen Aufwand und einer Komplexität, die in Würfeltabellen kaum abzubilden ist. Meine Vorschläge sind also praktikabilitätsorientiert. Ich beschränke mich deswegen hier auch auf Europa3.
Wollt ihr mit der Zufallsgenerierung noch weitergehen und beispielsweise Aussehen oder Persönlichkeitseigenheiten mit einem Würfelwurf dazu packen, empfehle ich die Zufallstabellen aus Cairn oder Ratten im Labyrinth (Link zur deutschen Druckausgabe, als PDF leider nur im englischen Original als „Maze Rats“ verfügbar). Auch Berufe oder Ausbildungen aus der Zeit vor der Abenteurerkarriere können damit festgelegt werden.
Es kann durchaus Spaß machen, einen SC auszuwürfeln und aus den Ergebnissen eine ausgeklügelte Story zu generieren. Lasst euch dabei von mir nicht abhalten! Ich möchte aber angesichts der Tödlichkeit des Settings und des OSR-Ansatzes generell Werbung dafür machen, den SC-Hintergrund zu Beginn eher knapp zu halten. Die hier vorgestellte Herangehensweise sollte beides ermöglichen, sie kann ein Grundgerüst für eine Das-Schwarze-Auge-reife romanlange Charakterbiographie dienen (bitte nicht böse nehmen, liebe DSA-Gemeinde!) oder als reines Gerüst verbleiben, wenn die Spielleitung am Anfang der Kampagne um die gefürchtete SC-Vorstellung bittet.
Wenn ihr bis hierhin vorgedrungen seid, seid ihr bereit zum Einstieg in das Spiel im Dreißigjährigen Krieg. Organisiert noch schnell eure Ausrüstungspakete, denn das Abenteuer wartet!
JFS.
- Ich bin kein Historiker und kann keinen sauberen Überblick geben, möchte aber Links zu einigen „Anstößen“ liefern: Es gibt Leibniz-Forschungsprojekte, fundierte Schilderungen aus dem damaligen Alltag, Geschichte mit Lokalkolorit und natürlich auch internationale Informationen dazu. Außerdem existieren zudem ausführliche Forschungsarbeiten wie The Oxford Handbook of Gender, War, and the Western World since 1600 (kostenpflichtig) oder „Trosserinnen“: Die Rolle von Frauen in den Söldnerheeren der frühen Neuzeit. ↩︎
- Allein das Heilige Römische Reich umfasste als Beispiel mehrere hundert Städte, Länder und Regionen, mit je nach Zeitpunkt wechselnden Zugehörigkeiten und Souveränitäten. Teilweise waren diese obendrein noch umstritten oder wechselten alle paar Jahrzehnte.
Die Frage nach der genauen politischen Zugehörigkeit von Gebieten ist im Europa des 17. Jahrhunderts sowieso eine Katastrophe. Soweit ich das als Nicht-Historiker verstehe hier ein kleines Beispiel für Interessierte: Das Herzogtum Preußen gehörte zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges den brandenburgischen Hohenzollern und bildete deswegen eine Personalunion mit dem Kurfürstentum Brandenburg. Anders als Brandenburg war es allerdings nicht Teil des Heiligen Römischen Reiches und eigentlich auch „nur“ ein Lehen der polnischen Krone – der brandenburgische Kurfürst war also in seiner Eigenschaft als preußischer Herzog dem polnischen König (welcher gleichzeitig Großfürst von Litauen war) zur Vasallentreue verpflichtet.
Der polnische König wiederum wurde von einem Ständeparlament gewählt, konnte als durchaus auch ein ausländischer (z.B. deutscher, französischer oder schwedischer) Adliger oder gar Fürst mit wiederum eigenen Ländereien sein. Die Wahl einer Frau zum polnischen König (nicht Königin!) Ende des 16. Jahrhunderts illustriert diese wilden Verhältnisse nochmal ganz anschaulich. ↩︎ - … wenngleich natürlich auch Nordafrikaner:innen (z.B. Königreich Marokko, Regentschaft Algier), SC aus europäischen Kolonien (v.a. der „Neuen Welt“, aber beispielhaft auch Regionen im heutigen Angola, Mosambik, Indien, Sri Lanka oder den Philippinen als spanisch-portugiesische Kolonien) und/oder Asien gut machbar und historisch gerechtfertigt sein dürften. Das ist aber nochmal ein Riesenfass für sich, und kann natürlich auch Fragen nach kolonialem Unrecht oder Rassismus aufwerfen, die vielleicht nicht spielspaßförderlich sind. Auch hier entscheidet dennoch letztlich ihr als Spielende. ↩︎
https://kritischerfehlschlag.de/2024/06/25/sagt-der-deutsche-zu-dem-niederlander/