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Grundschüler in Sachsen: Verweis nach „FCK AFD“-Doodle

Ein Grundschüler in Sachsen findet die AfD doof und zeigte das auch mit einem „Fck AfD“ Gekritzel in einem privaten Heft. Jetzt ist er einer Hetzjagd ausgesetzt, weil er ein durchgestrichenes Hakenkreuz in sein Kritzelheft gezeichnet hat.

Die Chemnitzer Familie Yılmaz ist stabil antifaschistisch. Die Großmutter engagiert sich bei den „Omas gegen Rechts“. Auch die Mutter Karin vermittelt ihrem Sohn, „dass das dreckige rechte Gedankengut falsch ist“, wie sie sagt. Regelmäßig gehen die Familienmitglieder zu Demonstrationen gegen Rechts in Europas Kulturhauptstadt 2025. Chemnitz ist seit Jahren immer wieder Aufmarschort von Rechtsradikalen: von Pegida über AfD bis zur rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen.

Ein Ausschnitt aus dem Blatt des Jungen, das Volksverpetzer vorliegt

Insofern ist es nur passend, dass der zehnjährige Sohn Ahmet (*alle Namen geändert) vor ein paar Tagen sein persönliches Kritzelheft in der Schule serienweise mit Wutparolen gegen die rechtsextreme AfD versah. Fähnchen mit der Aufschrift „FCK AFD“, Slogans wie „AFD ist Scheise“, dazu ein gezeichnetes Kackhäufchen. Oder auch wahlweise „Fuck u AFD“ oder „Fick die AFD“. Dazu noch ein Herzchen für Mama, „Love grun“, „Ich hase Schule“ – was Kindern im vorpubertären Alter halt zuweilen durch den Kopf geht und dann in persönlichen Aufzeichnungen landet.

Und dann noch – und jetzt wird es ernst für Ahmet – ein Hakenkreuz. Der Zehnjährige hat es durchgestrichen. Es soll dem Viertklässler trotzdem zum Verhängnis werden. Denn als die Mutter Ende vergangener Woche zum ohnehin verabredeten Elterngespräch in die Jan-Amos-Comenius-Grundschule kam, hatte die Schulleiterin Yevhenyia Goldhahn ihre Strafmaßnahme gegen Familie Yılmaz schon ausgedruckt vor sich: „Ordnungsmaßnahme gemäß § 39 Abs. 2 Ziffer 2 des Schulgesetzes Sachsen (SchG)“ gegen Ahmet Yılmaz, stand im Betreff. Angehört wurden Eltern und Schüler zuvor nicht.

Ahmet könnte von der Schule fliegen

Gleich mehrere Sanktionen gibt es nun gegen den Zehnjährigen: einen formellen „schriftlichen Verweis“. Drei Wochen zwangsweise Versetzung in eine Parallelklasse. Dazu die Androhung, dass Ahmet auch von der Schule fliegen könnte: „Bei dem nächsten Vergehen kann (…) in eine andere Schule strafversetzt werden.“ Ein krasses Maßnahmenbündel, weil – ja weil eigentlich?

Begründet wird der Verweis so: „Am 27.03.2025 zeichnete (…) im Unterricht staatsfeindliche Symbolik (Hakenkreuze) in seinem Arbeitsblatt. In Deutschland sind Schulen verpflichtet, ein Lernumfeld zu schaffen, das frei von Diskriminierung, Gewalt und extremistischen Ideologien ist. Der Gebrauch oder das Zeigen von Symbolen, die mit verfassungsfeindlichen Organisationen oder Ideologien in Verbindung stehen, wird daher als schwerwiegender Verstoß gegen die Schulordnung gewertet. Diese Maßnahme wurde ergriffen, um alle Schülerinnen und Schüler zu schützen.“ Dazu der Hinweis: „Dieser Bescheid ergeht kostenfrei.“

Der Vorgang an der sächsischen Grundschule wirkt total absurd, denn nichts spricht dafür, dass Ahmet auch nur irgendwas mit nationalsozialistischen Ideologien oder der faschistischen AfD am Hut hat. Weswegen seine Mutter Yılmaz auch umgehend Widerspruch einlegte. Sie betont, es sei sein privates Notizbuch gewesen, es habe sich um ein „DURCHGESTRICHENES Hakenkreuz“ gehandelt, „welches von dem Schriftzug ,Fuck AFD‘ gekrönt wird“.

BGH erlaubte Antifa-Werbung

Die Mutter verwies auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe aus dem Jahr 2006. In der ging es um einen Geschäftsmann, der für die Punkerszene Aufkleber, Anstecker und ähnliche Gegenstände vertrieb, auf denen Hakenkreuze durchgestrichen oder zerschmettert waren, jedenfalls laut BGH so, dass „bereits aus der Darstellung die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus deutlich wurde“.

Der Angeklagte – vom Landgericht Stuttgart zuvor wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86 a StGB zu einer Geldstrafe verurteilt – wurde damals freigesprochen. Bei von ihm vertriebenen zahlreichen Artikeln sei „eindeutig und offenkundig die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus deutlich gemacht worden“, so der Bundesgerichtshof.

Entsprechend hat sich aus Sicht seiner Mutter auch Ahmet überhaupt nichts zu Schulde kommen lassen. „Keine strafbare Handlung“, sagt sie. Unter Hinweis auf die BGH-Entscheidung schreibt die Mutter an die Schulleiterin: „In Ahmets Aufzeichnungen war diese beschriebene Distanzierung zum Nationalsozialismus eindeutig zu erkennen.“ Das durchgestrichene Hakenkreuz, der Schriftzug „Fuck AFD“ – „eine noch offenkundigere Distanzierung ist ja wohl kaum möglich“.

Meldeportale der AfD

Warum wird ein Schüler in die Zange genommen, der sich klar gegen die AfD positioniert? Wirkt die Stimmungsmache der rechtsextremen Partei? Die AfD hat Meldeportale initiiert, nennt sie teilweise „Informationsportal ,Neutrale Schule‘“ – und stiftet so Schüler:innen an, kritische Lehrkräfte zu denunzieren. Will man an einer sächsischen Grundschule der AfD keine Angriffsfläche bieten?

In Chemnitz bekommt der Fall eine zusätzliche Dimension durch einen anderen Vorgang nur kurz zuvor: Demnach soll ein anderer Schüler an der Grundschule Hakenkreuze im Schulgebäude geschmiert haben, und zwar solche, die nicht durchgestrichen waren. Ahmets Mutter schreibt: „Bisher ist mir nicht bekannt, dass dieser Schüler mit der gleichen Härte wie (…) bestraft wurde, meines Wissens nach wird dieser Schüler ja auch nicht strafversetzt.“

Dass das Erstarken der AfD vor allem in Ostdeutschland auch unmittelbar in die Schulen wirkt, ist im Netz vielfach zu lesen. Im Oktober 2024 gab die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD) der „Frankfurter Rundschau“ ein Interview, in dem sie sagte:

„Was wir aus den Schulen hören, ist mehr als beunruhigend. Hakenkreuze an den Wänden gehören dort zum Alltag. Und es passieren gewaltvolle Übergriffe gegen Migrantinnen oder Andersdenkende. Rechtsextreme Narrative verbreiten sich bei vielen Jugendlichen gerade rasant.“

Als vor einem Jahr an einem Gymnasium in Ribnitz-Damgarten (Mecklenburg-Vorpommern) wirklich etwas passierte, verharmlosten rechte Medien das als „Schlumpf-Skandal“.

Was aus dem rechten Märchen vom „Schlumpf-Skandal“ zu lernen ist

Höchststand rechtsextremer Vorfälle an Sachsens Schulen

Antisemitische Äußerungen, Nazi-Parolen und -Symbole an und in Schulgebäuden, aber auch in Klassenchats – im Februar teilte das sächsische Kultusministerium auf Anfrage der Linken-Landtagsabgeordneten Juliane Nagel mit, dass im Jahr 2024 insgesamt 154 rechtsextreme Vorfälle an Sachsens Schulen registriert worden seien – ein neuer Höchststand. Nagel begrüßte, dass Lehrkräfte sensibilisiert seien und auf Vorfälle „angemessen“ reagieren. So würden Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen eingeleitet.

Die Fälle an der Jan-Amos-Comenius-Grundschule in Chemnitz – einer Brennpunktschule mit hohem Migrationsanteil – dürfte sie kaum gemeint haben. Weder dass Ahmet Yılmaz hart bestraft wird, noch, dass ein anderer Schüler, der wirklich Hakenkreuze gezeichnet hat, offenbar glimpflich davonkommt. Um den Vorgang auch nur ansatzweise nachzuvollziehen, weist eine Helferin der Familie aus den Migrationshintergrund von Ahmet hin. Sein Vater ist türkeistämmig, lebt aber schon viele Jahre in Deutschland. Die Mutter, Deutsche, ist in Sachsen aufgewachsen. Es fallen in diesem Zusammenhang Begriffe wie „Rassismus“ und „institutionelle Gewalt“.

„Rassismus“ und „institutionelle Gewalt“

Ahmet war erst nach den Sommerferien 2024 auf die Jan-Amos-Comenius-Grundschule gewechselt. Er hatte zuvor eine Waldorfschule besucht, der Wechsel an die „richtige Schule“, die er sich eigentlich gewünscht hatte, fiel dann nicht ganz leicht. Dem Vernehmen nach kam auch seine neue Klassenlehrerin nicht mit ihm zurecht. Der fühlte sich mehr und mehr gemobbt.

Wie der Fall ausgeht, ist bisher unklar. Aufschiebende Wirkung hatte der Widerspruch der Mutter nicht. Am vergangenen Montag wurde Ahmet von der Schulleiterin persönlich in die neue Klasse gebracht, die er strafweise besuchen soll. Dort gab es einen anderen Stundenplan mit Sport gleich am Morgen. Ahmet hatte keine Sportsachen dabei und wurde vor die Tür geschickt. Mit verheulter Stimme rief er seine Mutter an und ließ sich abholen. Nachdem die ihn am nächsten Tag krankgemeldet hatte, drohte die mit der Polizei. Angeblich sei die E-Mail der Mutter nicht angekommen.

Landesschulamt ist in den Fall involviert

Schulleiterin Goldhahn lässt einen am Montag übermittelten Fragenkatalog unbeantwortet. Das Landesschulamt ist inzwischen in den Fall involviert. Es teilt auf Anfrage mit, „die Angelegenheit um eine Ordnungsmaßnahme gegen den Schüler“ sei „noch nicht beendet“. An diesem Freitag soll es ein Gespräch mit allen Beteiligten geben, an dem auch Vertreter des Landesschulamts teilnehmen. „Dabei soll der Sachstand erörtert und das weitere Vorgehen abgestimmt werden.“

Aber selbst wenn Schule und Landesschulamt noch einlenken: An seine bisherige Grundschule zurück kann Ahmet wohl kaum. Neuer Anlauf, wenn im Sommer die Versetzung in die fünfte Klasse ansteht. Die Mutter Karin Yılmaz ist noch immer völlig fassungslos, wie sich die Dinge so hochschaukeln konnten: „Es fühlt sich an wie in einem falschen Film. Ich kann gar nicht glauben, dass so etwas wirklich stattfindet.“

Artikelbild: Symbolbild, canva.com

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